Reiner Bredemeyer
.. wir haben keinerlei Chance: nützen wir sie
Geboren am 2. Februar 1929 in Kolumbien, studierte ich, nach Schulzeiten in Breslau, Fürth und München, Musik. Nutznießer der berühmten Musica-Viva-Konzerte von Karl Amadeus Hartmann, erlernte ich vor allem dort — bei Proben und Aufführungen — meine musikalische Sprache. 1954 ging ich, deprimiert von den restaurativen Entwicklungen unter Adenauer, nach Ostberlin. Paul Dessaus Musik zu „Mutter Courage“, viele Gespräche mit ihm selbst spielten da sicher ihre Rolle. Meisterschüler bei Wagner-Régeny, dann bis 1994 musikalischer Leiter und Komponist am Deutschen Theater Berlin.
Neben meiner Kammermusik, Orchesterstücken etc., die natürlich viele Jahre unerhört blieben (Kulturpolitik der DDR!) schrieb ich für meine Schauspielerkollegen auch immer liedartige, einfache Gebilde, die für Matineen und literarische Veranstaltungen entstanden. Neben Tucholsky, Villon, Brecht waren auch Heine-Lieder aus solchem Anlaß komponiert worden. Acht davon entstanden anläßlich des 175. Geburtstages des Emigranten, 1972.
Seit 1984 bin ich mit dem Vormärzpoeten Wilhelm Müller intensiv beschäftigt; außer einer Neuvertonung der berühmten „Winterreise“ (bei mir für Bariton, Klavier und Horn besetzt, Uraufführung 1985 im Berliner Schauspielhaus [Konzerthaus]) entstand 1986 auch die „Monodramistische Szene für einen tiefen Müller und acht Instrumentalisten — Die schöne Müllerin“, die natürlich alle 25 Gedichte dieses Zyklus enthält, also auch die ironischen Piècen Prolog und Epilog.
Theaterinfiziert schrieb ich in den 70er Jahren eine Schuloper nach Brecht: „Leben des Andrea“ (aus: „Leben des Galilei“), 1978, auch aus Anlaß des 250. Geburtstages der „Beggars-Opera“ (Brechts Erben verboten dem Deutschen Theater das Spielen der „Dreigroschenoper“, deren 50. Geburtstag eben 1978 war), „Die Galoschenoper“ nach Heinz Kahlaus Travestieversuch zum Thema, 1980/81 „Candide“ nach Voltaire (UA 1986 in Halle) und 1990 den „Neinsager“ wieder nach Brecht, der 1994 in Stuttgart zusammen mit Weills „Jasager“ Premiere hatte.
Selber mich stilistisch kaum einordnen zu können und wollen, würde ich mein Hauptanliegen (?) aber im möglichst unvergrübelten, ja frivolerweise fast heiteren Umgang mit unterschiedlichsten Grundmaterialien sehen. Die meist knappen, schnell-spielerischen Musiken bemühen sich um gestische Genauigkeit (ohne die Mühen zu demonstrieren), was selbstverständlich besonders bei Textkompositionen hoffentlich deutlich wird.
Durch die „Wende“ endgültig von der Illusion befreit, Musik könnte irgendwelche Veränderungen auslösen, will ich weiterhin versuchen, die „Umwelt“ ein bißchen freundlicher tönen zu machen.
Eisler wollte die Dummheit in der Musik bekämpfen … er selbst hielt den Kampf Ende der 50er Jahre (im Gespräch mit Hans Bunge) für verloren. Nun gut, „wir“ haben keinerlei Chance: nützen wir sie. Reiner Bredemeyer, September 1995